Guillain-Barré-Syndrom

Mit einer Lähmung verbinden die meisten Menschen einen Unfall oder Komplikationen bei der Geburt. Weniger bekannt ist das sogenannte Guillain-Barré-Syndrom, welches ebenfalls zu einer meist temporären, jedoch potenziell schwerwiegenden Lähmung führen kann. Alles, was es über dieses seltene Krankheitsbild zu wissen gibt, liest Du hier.


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Inhaltsverzeichnis

Guillain-Barré-Syndrom

Was versteht man in der Medizin unter dem Guillain-Barré-Syndrom?

Das 1916 von drei französischen Ärzten beschriebene Guillain-Barré-Syndrom (GBS) bezeichnet eine neurologische Erkrankung, bei der es zu entzündlichen Veränderungen der Nerven und Nervenwurzeln, vor allem im Rückenmark kommt.
 
In Folge führt dies zu einer fortschreitenden Lähmung und Sensibilitätsstörung. Diese beginnt meist an Händen, Füßen, oder an den Beinen und breitet sich Richtung Körperstamm aus. Das Ausmaß der Beeinträchtigung bei GBS ist sehr variabel, in schweren Fällen kann es zu Beeinträchtigungen der Atem- und Schluckmuskulatur kommen, welche lebensbedrohlich sind.
 
Leichtere Fälle gehen häufig mit Schmerzen, Taubheitsgefühl oder aber kaum merklicher Muskelschwäche einher. Die Symptome erreichen häufig nach ein bis vier Wochen ihr Maximum und bilden sich dann langsam wieder zurück, dies kann bis zu mehreren Monaten oder sogar Jahre dauern.
 
Hintergrund der Nervenerkrankung ist eine fehlgeleitete Reaktion des Immunsystems, also um eine Autoimmunkrankheit. In etwa 95 Prozent der Fälle verläuft das GBS nicht lebensbedrohlich und die Patienten erholen sich von der Erkrankung vollständig oder teilweise wieder.
 
Mit einer Inzidenz von ein bis zwei Fällen pro 100.000 Einwohnern und Jahr, ist das Guillain-Barré-Syndrom eine relativ seltene Erkrankung.

Welche Formen des Guillain-Barré-Syndroms gibt es?

Das Guillain-Barré-Syndrom lässt sich in mehrere Subtypen unterteilen, die sich unter anderem durch die Ausprägung der Symptome voneinander unterscheiden. Dabei ist die sogenannte Akute Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) der häufigste in Europa vorkommende Subtyp.
 
Hierbei erfolgt ein Abbau der Schutzhülle, welche die Nervenbahnen isoliert (Myelinscheide). Durch diese Zerstörung der Myelinschicht werden die Nervenimpulse nur schwach oder gar nicht übertragen und die Muskulatur empfängt keine Nervenimpulse mehr, was die Lähmungserscheinungen erklärt. Bei sensorischen Einschränkungen, zum Beispiel beim Tastsinn, liegen Veränderungen in der Myelinschicht von sensorischen Nervenbahnen vor.
 
Neben der klassischen Form des GBS gibt es auch Varianten mit bevorzugter Schädigung der Nervenfasern selbst, in diesem Fall spricht man von einer axonalen Schädigung.
 
Je nachdem ob motorische, also für die Bewegung verantwortliche Nervenfasern, oder sensible, für den Tastsinn verantwortliche Fasern, betroffen sind, unterscheidet man die Akute motorische, sensible atonale Neuropathien (AMSAN) und akute motorische axonale Neuropathien AMAN).
 
Zudem gibt es noch diverse regionale Varianten wie die Landry-Paralyse, das Miller-Fisher-Syndrom und die CIPD.
 
Landry-Paralyse
Die Landry-Paralyse ist eine sehr schnell fortschreitende Form mit schwersten aufsteigenden Lähmungen, bei der innerhalb von wenigen Stunden eine künstliche Beatmung notwendig wird.
 
Miller-Fisher-Syndrom
Das Miller-Fisher-Syndrom ist eine seltene Variante des GBS und ist gekennzeichnet durch Augenmuskellähmungen, Areflexie und schwerere Koordinationsstörungen (Ataxie).
 
Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie
Die Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (CIDP) unterscheidet sich zu Beginn des Verlaufs nicht vom GBS, sie dauert aber länger als vier Wochen an. Nehmen die Symptome für länger als acht Wochen zu, spricht man nicht mehr von einem Guillain-Barré-Syndrom, sondern von einer CIDP.

Was sind die Ursachen für ein Guillain-Barré-Syndrom?

Die genauen Ursachen, die zum GBS führen, sind heute noch nicht geklärt. Oft haben Betroffene wenige Wochen vor Einsetzen der Lähmungen einen gewöhnlichen Magen-Darm-Infekt, eine Atemwegsinfektion oder eine Lebensmittelvergiftung.
 
Nach Kontakt mit bestimmten Erregern (Campylobacter Jejuni, Epstein-Barr-Virus, Cytomegalievirus oder auch Herpes Zoster) kann eine Fehlreaktion des Körpers ausgelöst werden, bei der das Immunsystem Antikörper produziert, welche fälschlicherweise die schützende Myelinscheide der Nerven angreifen.
 
Ein Auftreten wurde auch im Zusammenhang mit Insekten- und Zeckenstichen, dem Zika-Virus, Operationen und Impfungen beobachtet, diese Kausalitäten sind jedoch nicht bewiesen und weisen eher schwache Indizien auf.

Was sind die Symptome eines Guillain-Barré-Syndroms?

Zwei bis vier Wochen nach dieser einen auslösenden Erkrankung zeigen sich erste Symptome, die allerdings oft unspezifisch sind und einem leichten Infekt ähneln, wie beispielsweise Rücken- und Gliederschmerzen.
 
Nach einiger Zeit kommt es zu Missempfindungen, Schmerzen oder Taubheitsgefühl in den Füßen oder Beinen, die sich innerhalb weniger Tage ausprägen und auf beiden Seiten in etwa gleich stark auftreten. Von Füßen und Beinen steigt die Lähmung meistens in Richtung Körpermitte auf und nimmt dabei an Intensität zu.
 
In schweren Fällen kann die Lähmung letztendlich die Atemwegs-, Rachen- und Gesichtsmuskulatur betreffen, sodass eine kurzzeitige Beatmung notwendig wird.
 
Da auch das vegetative Nervensystem von den Beeinträchtigungen der Nervenentzündungen betroffen sein kann, kommt es zudem oft zu Herzrhythmusstörungen oder Blutdruckschwankungen sowie Blasen- und Darmstörungen.
 
Normalerweise verschlechtern sich die Symptome maximal vier Wochen lang, erreichen in dieser Zeit ihren Höhepunkt und beginnen sich danach langsam zurückzubilden. Bis zur vollständigen Genesung kann es Monate bis sogar Jahre dauern.

Welche Komplikationen können beim Guillain-Barré-Syndrom auftreten?

Obwohl bei nur etwa einem Fünftel der Erkrankten nach Rückgang der Symptome langfristige Ausfälle bestehen bleiben, muss beachtet werden, dass die Prognose umso schlechter ist, je ausgeprägter die Lähmungen und je länger der Verlauf andauert.
 
Es ist möglich, wenn auch selten, dass das Guillain-Barré-Syndrom bis zu seiner maximalen Ausprägung voranschreitet, bei der die Betroffenen eine komplette Lähmung erfahren, aber gleichzeitig bei vollem Bewusstsein bleiben. In diesen schweren Fällen können die Patienten nur durch intensivmedizinische Behandlung am Leben erhalten werden, da die Atmung und das Herz-Kreislauf-System schwer gestört werden.
 
Grundsätzlich gilt, dass die Prognose der axonalen Verlaufsform (also wenn die Nervenstränge selbst betroffen sind, nicht nur deren umgebende Schicht) ungünstiger und problematischer sind. Hier bleiben oft Lähmungen verschiedener Ausprägungen zurück, dazu zählen auch kaum merkliche oder sehr leichte Ausprägungsgrade.
 
Zudem steigt aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit die Gefahr einer Thrombose, einer Bildung von Blutgerinnsel, und anschließender Lungenembolie, wenn diese Gerinnsel in die Lunge gelangen und die Gefäße dort verstopfen.

Wie diagnostiziert der Arzt das Guillain-Barré-Syndrom?

Um ein GBS zu diagnostizieren, führt der Arzt zunächst ein Anamnesegespräch mit Dir durch, in welchem er Dich nach deinen Beschwerden und deren Verlauf befragt. Oft gibt ein solches Erstgespräch schon wichtige Hinweise auf ein mögliches Guillain-Barré-Syndrom, vor allem, wenn Du von einer ungefähr zwei Wochen vorausgehenden Atemwegserkrankung oder Magen-Darm-Infekt berichtest.
 
Im Anschluss daran führt der Arzt eine körperliche Untersuchung durch, bei welcher er die Sensibilität und Reaktivität deiner Beine und Arme testet. Typische Hinweise geben dabei klinische Untersuchungen, in denen sich eine Kraftminderung, abgeschwächte oder ausbleibende Muskelreflexe oder Gefühlsstörungen in den Beinen oder Armen zeigen.
 
Zu einer gesicherten Diagnose führen aber nur eine Lumbalpunktion, bei der Flüssigkeit (Liquor) aus dem Rückenmark entnommen wird und dieses beispielsweise auf Entzündungswerte und Eiweiß untersucht wird, oder elektrophysiologische Messungen der Nervenleitgeschwindigkeit (ENG) und der Muskeln (EMG). Eine Blutuntersuchung mit Nachweis von bestimmten Antikörpern kann bei Verdacht ebenfalls Aufschluss geben.

Wie wird das Guillain-Barré-Syndrom behandelt?

Die Behandlung von GBS erfolgt stationär im Krankenhaus, da sich die Symptome in schweren Fällen stark verschlimmern und auch die Atemmuskulatur beeinträchtigen können. Wird die Diagnose frühzeitig gestellt, kann die Erkrankung vollständig und meist ohne Folgeschäden geheilt werden. Eine frühzeitige und ständige Kontrolle der Vitalfunktionen ist in der Akutphase notwendig, um rechtzeitig zu beatmen oder einen Herzschrittmacher zu legen.
 
Wenn die akute Phase überwunden ist und die Symptome den Höhepunkt ihrer Ausbreitung überschritten haben, beginnt man mit der Rehabilitation, in der gezielt die Nerven- und Muskelfunktionen trainiert werden.
 
Man behandelt GBS und dessen Symptome heute bevorzugt mit Immunglobulinen (IVIG), Antikörper, die auf das körpereigene Immunsystem wirken und meist intravenös und in hoher Dosis verabreicht werden. Zudem wird in rasch fortschreitenden Fällen eine Plasmapherese durchgeführt.
 
Dabei wird das Blut des Betroffenen extern maschinell gereinigt und im Anschluss wieder in den Körper zurückgeführt. Dadurch sollen Antikörper, welche die Nerven, deren Wurzeln oder Schutzschicht angreifen, entfernt werden. Sie ist im Gegensatz zur Immuntherapie allerdings mit mehreren Nebenwirkungen begleitet.
 
Beide Therapien sollen den Krankheitsverlauf verkürzen und die Symptome abschwächen. Bei leichteren Formen reicht häufig eine gute Thrombose- und Infektprophylaxe in Kombination mit Physiotherapie aus.

Übernehmen die Krankenkassen die Kosten?

Der Arztbesuch zur Diagnose sowie die Therapie und stationäre Behandlung werden in aller Regel von der Krankenversicherung gezahlt. Für die einzelnen Leistungen und Bestimmungen solltest Du Dich aber dennoch bei Deiner Versicherung informieren oder beim behandelnden Arzt informieren.
 

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