Polydaktylie

Die Geburt eines Kindes ist ein ganz besonderes Ereignis. Sind plötzlich mehr als fünf Finger oder Zehen beim Neugeborenen zu sehen, sitzt der Schock bei den Eltern oft tief. Diese anatomische Besonderheit heißt Polydaktylie und stellt eine der häufigsten angeborenen äußeren Fehlbildungen dar.


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Polydaktylie

Was versteht die Medizin unter Polydaktylie?

Unter Polydaktylie, wörtlich „Vielfingrigkeit“, verstehen Mediziner eine angeborene Erkrankung, bei der Betroffene über mehr als die übliche Anzahl an Fingern oder Zehen verfügen.

Wie sehen die Symptome aus?

Zentrales Symptom der Polydaktylie ist eine vorhandene Überzahl an Fingern und/oder Zehen und die damit verbundene Verbreiterung der Hand beziehungsweise des Fußes. Form und Größe können sich dabei sehr unterschiedlich darstellen, beispielsweise nur in Form eines Hautlappens. In den meisten Fällen tritt die Fehlbildung beidseitig auf.

Wer ist davon betroffenen?

Bei Polydaktylie handelt es sich um eine autosomal-dominante Erberkrankung. Dies bedeutet, dass sobald ein Elternteil von dieser anatomischen Auffälligkeit betroffen ist, ein fünfzigprozentiges Risiko für die Nachkommen besteht, ebenfalls daran zu erkranken. Daher existieren keine Vorbeugungsmaßnahmen. Polydaktylie kann auch ein Begleitsymptom verschiedener Syndrome sein, wie zum Beispiel beim Down-Syndrom.

Was sind die Ursachen?

Ursächlich für die äußere Fehlbildung ist die Vererbung verschiedener Mutationen eines Elternteils an das Kind, wodurch die Steuerung der Ausprägung eines Genes manipuliert sein kann. Während der Schwangerschaft besitzen die Hände des Embryos zunächst die Form eines Paddels. Im Zuge der embryonalen Entwicklung spaltet sich dieses Paddel durch Apoptose in separate Finger. Naturwissenschaftler meinen mit der Apoptose einen programmierten Tod von Körperzellen, beispielsweise in diesem Fall die unnötigen Zellen zwischen den Fingern. Durch Unregelmäßigkeiten während der Apoptose, kann es vorkommen, dass eine Spaltung aus einem Finger in zwei Finger erfolgt und sich dadurch mehr Finger als üblicherweise bilden. Gleiches gilt für die Zehen des Embryos.
Ein erhöhter Testosteronspiegel sowie ein hohes Alter der Mutter während der Schwangerschaft stellen ein erhöhtes Risiko dar.

Welche Folgen kann die Erkrankung haben?

Da bei Betroffenen oft der Fuß verbreitert ist, können Probleme bei der Einhaltung des Körpergleichgewichtes und der Fortbewegung bestehen, was zu Rücken- und Hüftbeschwerden führen kann. Auch der Erwerb eines passenden Schuhwerkes kann sich schwierig gestalten. Bei mangelndem Platz zwischen den angrenzenden Fingern und Zehen können übermäßiger Schweiß und Abdruckstellen auftreten, in deren Folge Pilzinfektionen, Hühneraugen und Blasen entstehen können. Bei besonders starker Ausprägung der zusätzlichen Struktur sind auch Knochenverformungen möglich, wie beispielsweise der Hallux Valgus oder Hallux Varus. Ebenfalls klagen Betroffene oft über ästhetische Beschwerden, da eine Polydaktylie enorm auffällig sein kann.

Welche unterschiedlichen Formen gibt es?

Die radiale Form zeigt sich in einer Verdoppelung des Daumens, wodurch dessen Beweglichkeit stark eingeschränkt sein kann. Befindet sich ein zusätzlicher Finger neben dem Kleinfinger handelt es sich um die ulnare Form. In seltenen Fällen tritt auch eine zentrale Polydaktylie des zweiten bis vierten Fingers auf. Allgemein sprechen Mediziner beim Vorhandensein von jeweils sechs Fingern an einer Hand, beziehungsweise sechs Zehen an einem Fuß von einer Hexadaktylie.

 

Für wen ist die Operation geeignet?

Eine operative Behandlung von überzähligen Fingern erfolgt meist zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr, wobei frühere oder spätere Operationszeitpunkte ebenso möglich sind. Eher erfolgt ein medizinischer Eingriff oft, wenn die Funktionalität des Daumens des Kindes betroffen ist, wodurch das Erlernen des richtigen Greifens mit der Hand nicht gewährleistet ist. Ob beim Vorliegen zusätzlicher Zehen, auch hierbei eine operative Entfernung stattfinden soll, liegt meist im Ermessen der Eltern. Treten keine Schwierigkeiten beim Laufen auf, ist dies nicht zwingend erforderlich. Doch kommt es häufig zu Problemen beim Tragen handelsüblicher Schuhe, sodass sich Eltern oft für eine Operation entscheiden.

Was passiert vor einem Eingriff?

Vor der Operation bestimmen Mediziner anhand eines Röntgenbildes die überschüssigen Finger oder Zehen beziehungsweise die Anteile derer. Ebenfalls zur medizinischen Untersuchung gehören ein Abtasten der knöchernen Strukturen sowie die Überprüfung der Beweglichkeit der Fingergelenke.

Was muss ich vor einer Operation beachten?

Eltern sollten vor einer Operation wissen, dass bei einer radialen Polydaktylie durch die schwach ausgebildeten Strukturen meist nicht der Erwerb einer uneingeschränkten Funktionalität des Daumens gewährleistet ist. Mögliche Probleme bestehen in Gelenkinstabilitäten, Achsabweichungen oder einer eingeschränkten Beweglichkeit, wobei die Kraft im Seitenvergleich beider Hände meist deutlich vermindert ist.

Welche Techniken und Operationsmethoden gibt es?

Da die Ausprägungen der Fehlbildung sehr vielfältig ausfallen können, stehen eine Vielzahl an Operationsmethoden zur Verfügung. Bei einer asymmetrischen radialen Polydaktylie schneiden Mediziner den nicht dominierenden, schwächer entwickelten Daumenanteil heraus und entfernen ihn anschließend. Schwieriger zu behandeln sind symmetrische radiale Polydaktylien Hier besteht die Möglichkeit zentrale Anteile von Knochen und Nägel keilförmig herauszuschneiden und die randständigen Anteile zu fusionieren, wodurch ein gemeinsamer Daumen entsteht. Diese Operationstechnik bezeichnen Spezialisten als Bilhaut-Cloquet-Operation.

Die Behandlung einer ulnaren Polydaktylie besteht ebenfalls in der chirurgischen Entfernung des überzähligen Anhängsels. Da auch an dessen Nachbarfinger, dem übrig gebliebenen Finger, Strukturen wie Sehnen oder Bänder oftmals nicht komplett ausgebildet sind, muss gegebenenfalls eine Rekonstruktion dieser Strukturen erfolgen. Nicht selten findet unmittelbar nach der Geburt ein Abbinden (Ligatur) von Fingeranhängseln statt. Die Bildung einer unästhetischen Narbe und die Entstehung von gutartigen Tumoren von Nervenzellen sind mögliche Komplikationen der Ligatur, weshalb Mediziner diese Methode kontrovers diskutieren.

 

Welche Risiken birgt die Operation?

Jeder Eingriff birgt gewisse Risiken und Komplikationen, welche während oder nach der Operation auftreten können. Vor allem Eingriffe an der Hand sind meist sehr aufwendig. Zu den Risiken gehören beispielsweise Wundheilungsstörungen, Infektionen oder Nervenverletzungen. Rötungen und Schwellungen hingegen sind in der Regel normal und gehen nach ein bis zwei Wochen wieder von selbst zurück. Es ist wichtig immer zu den Nachsorgeuntersuchungen zu gehen, denn so kann der Arzt im Fall der Fälle schnell eingreifen.

Was muss ich nach der Operation beachten?

Nach der operativen Entfernung überzähliger Glieder ist in der Regel ein Großteil der Patienten beschwerdefrei. Wichtig ist, die betroffene Hand oder den betroffenen Fuß zunächst zu schonen. Krankengymnastik und Physiotherapie können dabei helfen, den Heilungsprozess zu unterstützen, indem sie das Bewegungsvermögen der restlichen Finger und Zehen verbessern. Sollten sich ungewöhnliche Symptome zeigen, wie beispielsweise eine Entzündung, empfehlen wir den behandelnden Arzt darüber zu informieren.

Wie lange dauert die Heilung?

Aufgrund des jungen Alters der Patienten erfolgt die Heilung in der Regel schnell. Auch bei älteren Patienten ist die Heilung meist nach 14 Tagen abgeschlossen, allerdings kann es durchaus sein, dass anschließend noch zwei bis drei Monate Physiotherapie benötigt werden.

Übernehmen die Krankenkassen die Kosten?

Da eine Polydaktylie meist mit gesundheitlichen Einschränkungen verbunden ist und somit eine medizinische Notwendigkeit der Behandlung besteht, übernehmen die Krankenkassen in der Regel die anfallenden Kosten einer Operation. Bei Unsicherheiten bezüglich der Kosten kannst Du Dich gerne auch immer an unsere Ärzte wenden. Sie freuen sich darauf Dir helfen zu können.

 
 

Kinderspital Zürich / Universitäts – Kinderklinik

Gortner, L., Meyer, S., Sitzmann, F.C.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2012

Niethardt, F.U.: Kinderorthopädie. Thieme, Stuttgart 2009