Kiefergelenksprobleme und deren interdisziplinäre Behandlung

Das Kiefergelenk ist eines der komplexesten Gelenke im menschlichen Körper. Wenn es zu Funktionsstörungen oder Schmerzen in diesem Bereich kommt, sprechen Fachleute von einer Temporomandibulären Dysfunktion (TMD). TMD ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Erkrankungen, die das Kiefergelenk, die umgebende Muskulatur und die dazugehörigen Nervenstrukturen betreffen. Häufig treten Symptome wie Kiefer-, Gesichts- oder Kopfschmerzen, Einschränkungen der Kieferbeweglichkeit oder störende Gelenkgeräusche auf.


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Zuletzt aktualisiert: 3. Januar, 2025



Wichtige Punkte zusammengefasst

Das Wichtigste zusammengefasst

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Neben Zahnärzten und Kieferchirurgen spielen auch Neurologen, welche man beispielsweise hier finden kann, und gelegentlich plastische Chirurgen bei der Analyse der Beschwerden und der Behandlung eine wichtige Rolle.

Was ist die Temporomandibuläre Dysfunktion (TMD)?

 

Die TMD umfasst eine Gruppe von Erkrankungen, die sowohl muskuläre als auch strukturelle Probleme betreffen können. Sie entsteht häufig durch eine Fehlfunktion der Kaumuskulatur, der Kiefergelenke oder beider Komponenten. Betroffene leiden nicht selten unter Schmerzen im Kiefer-, Gesichts- und Nackenbereich, begleitet von Symptomen wie Kopfschmerzen, Ohrenschmerzen oder einem eingeschränkten Bewegungsumfang des Unterkiefers.

 

Eine Kiefergelenksproblematik wird dann diagnostiziert, wenn Schmerzen oder Funktionseinschränkungen so stark sind, dass eine medizinische oder zahnmedizinische Behandlung erforderlich wird.

 

Welche Ursachen hat eine TMD?

 

Häufig handelt es sich um eine Kombination aus körperlichen und psychologischen Faktoren. Traumata, wie Schleudertrauma oder Zähneknirschen (Bruxismus), können die Strukturen des Kiefergelenks stark belasten. Ebenso führen Fehlbelastungen, etwa durch parafunktionelle Gewohnheiten wie übermäßiges Kaugummikauen oder Pressen der Zähne, häufig zu Beschwerden. Systemische Erkrankungen, insbesondere entzündliche Leiden wie rheumatoide Arthritis, spielen ebenfalls eine Rolle. Psychologische Faktoren wie Stress, Angstzustände und Depressionen sind weitere Risikofaktoren, da sie Muskelverspannungen begünstigen. Auch anatomische Besonderheiten, wie eine Hypermobilität der Gelenke oder Zahnfehlstellungen, können die Funktion des Kiefergelenks beeinträchtigen.

Welche anatomischen und funktionellen Strukturen sind am Kiefergelenk beteiligt?

 

Das Kiefergelenk wird von zwei Hauptbestandteilen gebildet: dem mandibulären Kondylus (dem Kopf des Unterkiefers) und der Fossa glenoidalis (einer Vertiefung im Schläfenbein). Zwischen diesen beiden Teilen befindet sich eine Gelenkscheibe (eine Art Knorpelpolster), die dafür sorgt, dass die Gelenkflächen gut zusammenpassen und schützt. Diese Scheibe hilft dabei, das Kiefergelenk beweglich zu halten und verringert den Druck auf die Gelenkflächen, sodass wir ohne Schmerzen kauen und sprechen können.

 

Das Gelenk erlaubt zwei Arten von Bewegungen: Scharnierbewegungen (das Öffnen und Schließen des Mundes) und Schlittenbewegungen (bei denen der Unterkiefer auch seitlich bewegt werden kann). Diese Bewegungen sind wichtig, damit wir effektiv kauen, schlucken und sprechen können.

 

Die Gelenkflächen sind mit festem Gewebe (fibrösem Bindegewebe) überzogen, das sehr widerstandsfähig ist und den Gelenken hilft, nicht schnell abzunutzen. Dieses Gewebe schützt die Gelenkflächen, besonders beim Kauen.

 

Um das Gelenk herum befinden sich Muskeln (die für die Bewegung des Kiefers zuständig sind) und eine Gelenkhülle (Synovialgelenkkapsel), die das Gelenk umgibt und Flüssigkeit enthält, die das Gelenk schmiert. Diese Bereiche sind mit Nerven verbunden, was bedeutet, dass sie Schmerzsignale senden können, wenn das Gelenk oder die Muskulatur überlastet oder gereizt sind. Diese Nerven und Muskeln sind oft die Ursache für Schmerzen bei Problemen mit dem Kiefergelenk, wie sie bei der Temporomandibulären Dysfunktion auftreten.

Welche Symptome weisen auf TMD hin?

 

Die Symptome einer TMD können vielfältig sein und überschneiden sich oft mit anderen Erkrankungen. Betroffene klagen häufig über ein unangenehmes Gefühl oder Schmerzen im Kiefer oder den Kiefermuskeln. Kopfschmerzen, oft migräneähnlich, sowie ausstrahlende Schmerzen hinter den Augen, im Gesicht oder Nacken sind ebenfalls typisch. Ohrenschmerzen, die nicht durch eine Entzündung des Mittelohrs verursacht werden, oder ein Tinnitus können hinzukommen. Weitere häufige Beschwerden sind Schmerzen beim Gähnen oder Kauen, eine eingeschränkte Beweglichkeit des Kiefergelenks, klickende oder knackende Geräusche beim Öffnen oder Schließen des Mundes sowie das Verhaken oder Blockieren des Kiefers. Gelegentlich treten plötzliche Veränderungen der Bisslage auf, sodass Ober- und Unterkiefer nicht mehr korrekt aufeinandertreffen.

Wie wird TMD diagnostiziert?

 

Wenn Du eine TMD vermutest, kannst Du zunächst Deinen Zahnarzt oder auch Deinen Hausarzt aufsuchen. Zuerst führt der Arzt eine gründliche Anamnese durch, bei der er nach Deinen Beschwerden fragt, um ein besseres Bild von Deinen Symptomen zu bekommen. Häufige Anzeichen sind Schmerzen im Kiefergelenk, eingeschränkte Beweglichkeit des Kiefers oder Geräusche wie Knacken oder Reiben. Um mehr über Deine Schmerzen und deren mögliche Ursachen zu erfahren, kann der Arzt auch einen Fragebogen verwenden, der speziell auf Schmerzursachen und Einflussfaktoren eingeht.

Körperliche Untersuchung

 

Nach der Befragung folgt eine körperliche Untersuchung. Der Arzt prüft zunächst die Symmetrie Deines Gesichts, beobachtet, wie sich Dein Kiefer bewegt, und tastet die Kaumuskulatur sowie das Kiefergelenk ab. Dabei achtet er auf Schmerzstellen oder Verspannungen, die auf eine Dysfunktion hindeuten könnten. In einigen Fällen untersucht der Arzt auch die Halswirbelsäule, da Probleme in diesem Bereich oft mit Kiefergelenksbeschwerden zusammenhängen können.

Bildgebende Verfahren und spezielle Tests

 

Wenn die Ursache noch unklar ist, setzt der Arzt bildgebende Verfahren wie Röntgenaufnahmen oder eine Magnetresonanztomographie (MRT) ein. Diese helfen, strukturelle Veränderungen wie Entzündungen, Gelenkverschleiß oder andere Probleme sichtbar zu machen. In komplexeren Fällen wird auch der sogenannte „Priener Abduktionstest“ durchgeführt, bei dem getestet wird, wie das Kiefergelenk das gesamte Bewegungssystem beeinflusst. Das gibt Aufschluss darüber, wie der Kiefer Deine Haltung und Bewegungskoordination beeinflussen könnte.

 

Neurologische Untersuchung

 

Falls der Verdacht besteht, dass neurologische Ursachen für Deine Beschwerden verantwortlich sind, kann der Arzt Dich an einen Neurologen überweisen. Der Neurologe wird zunächst eine ausführliche Befragung durchführen, um herauszufinden, ob Symptome wie ausstrahlende Schmerzen, Taubheitsgefühle oder andere neurologische Beschwerden vorliegen, die auf eine Nervenbeteiligung hinweisen könnten. Der Neurologe untersucht dann die Funktion des Trigeminusnervs, der für das Gefühl im Gesicht und die Bewegung der Kaumuskulatur zuständig ist. Er testet, ob es Veränderungen in der Sensibilität gibt, wie etwa Taubheitsgefühle oder eine ungewöhnliche Schmerzempfindlichkeit.

 

 
 

Außerdem kann der Neurologe spezielle Tests durchführen, um festzustellen, ob Nerven im Kieferbereich durch Druck oder Bewegung beeinträchtigt sind. Dazu gehören etwa Nervendehnungs- und Kompressionstests, bei denen der Arzt Druck auf bestimmte Stellen ausübt oder spezielle Bewegungen anwendet, um die Funktion der Nerven zu überprüfen. Auch Schmerzanalysetests kommen zum Einsatz, bei denen verschiedene Reize an Gesicht oder Kiefer ausgeübt werden, um Deine Schmerzempfindlichkeit zu messen.

 

Ein weiterer Test ist das Elektromyogramm (EMG), mit dem die elektrische Aktivität Deiner Muskeln gemessen wird. Dieser hilft dabei, zwischen muskulären und neurologischen Ursachen für die Beschwerden zu unterscheiden. Zusätzlich kann der Neurologe thermische Tests durchführen, bei denen überprüft wird, wie Deine Nerven auf Temperaturreize reagieren, um die Funktion der sensiblen Nerven zu testen.

Wie unterscheiden sich funktionelle von neurologischen Ursachen bei Kiefergelenksproblemen?

 

Funktionelle Ursachen der TMD betreffen in erster Linie die Biomechanik des Kiefergelenks und die Funktion der Kaumuskulatur. Zu diesen Ursachen zählen okklusale Störungen, Fehlstellungen der Zähne, Diskusverlagerungen im Kiefergelenk oder muskuläre Überlastungen durch Parafunktionen wie Zähneknirschen. Diese Probleme äußern sich oft in Bewegungseinschränkungen, Verspannungen oder lokalen Schmerzen im Kiefergelenk und in den Kaumuskeln.

 

Neurologische Ursachen hingegen resultieren aus Fehlfunktionen des Nervensystems. Hierzu zählen Reizungen oder Entzündungen des Trigeminusnervs oder zentral gesteuerte Schmerzsyndrome. Typische Symptome sind scharfe, plötzlich auftretende neuralgische Schmerzen oder chronische Schmerzen, die durch eine fehlerhafte Schmerzverarbeitung im zentralen Nervensystem entstehen.

Welche Behandlungsansätze gibt es?

 

Zu den häufigsten Methoden gehören medikamentöse Therapien, bei denen Schmerzmittel, entzündungshemmende Medikamente und Muskelrelaxantien eingesetzt werden, um akute Beschwerden zu lindern und Verspannungen in der Kaumuskulatur zu lösen. Ebenso können Kälte- oder Wärmeanwendungen hilfreich sein, um Entzündungen zu verringern und den Kieferbereich zu entspannen.

 

Eine weitere häufige Maßnahme sind Knirschschienen. Diese werden individuell für Deinen Mund angefertigt und verhindern das Zähneknirschen sowie -pressen, das oft die Ursache für TMD ist. Dadurch wird das Kiefergelenk entlastet und die Symptome werden gemildert.

 

Darüber hinaus ist auch eine Physiotherapie eine gängige Behandlung. Hierbei kommen gezielte Übungen und manuelle Techniken zum Einsatz, um die Beweglichkeit des Kiefers zu verbessern, Verspannungen zu lösen und die Muskulatur zu stärken.

 

Wenn konservative Methoden nicht ausreichen oder das Kiefergelenk bereits erheblich geschädigt ist, kann ein chirurgischer Eingriff notwendig werden. Dies kommt in Betracht, wenn strukturelle Schäden wie Gelenkverschleiß oder Diskusverlagerungen vorliegen. In solchen Fällen kann eine arthroskopische oder offene Operation erforderlich sein, bei der das Kiefergelenk repariert und die Beweglichkeit wiederhergestellt wird.

 

Wenn neurologische Ursachen wie Nervenreizungen oder -entzündungen für die TMD verantwortlich sind, ist eine neurologische Behandlung notwendig. Hierzu gehören Medikamente zur Schmerzlinderung sowie spezielle Therapien zur Behandlung der Nervenprobleme. In einigen Fällen können invasive Eingriffe wie Injektionen oder sogar chirurgische Eingriffe notwendig sein.

Warum ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit bei TMD notwendig?

 

Bei der Behandlung von TMD ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit besonders wichtig, weil die Symptome und Ursachen häufig vielfältig sind. Funktionsstörungen im Bereich der Zähne, Kaumuskulatur und Kiefergelenke können unterschiedliche Ursachen haben und brauchen daher verschiedene Therapieansätze. Eine strukturierte Funktionsdiagnostik bildet die Grundlage, um individuell passende Behandlungsmethoden auszuwählen und die Therapie optimal zu gestalten. Die Kombination von unterschiedlichen therapeutischen Maßnahmen erhöht die Erfolgschancen, da sie gezielt auf die verschiedenen Aspekte der TMD eingehen.

Welche Fachrichtungen arbeiten zusammen, und wie ergänzen sie sich?

 

Bei der Behandlung von TMD arbeiten Zahnärzte, plastische Chirurgen und Neurologen Hand in Hand. Zahnärzte erkennen häufig TMD durch Zähneknirschen oder Bissprobleme. Sie empfehlen oft eine Aufbissschiene, um das Kiefergelenk zu entlasten und Verspannungen zu lindern. Wenn es zu strukturellen Schäden wie Gelenkverschleiß kommt, kann plastische Chirurgie notwendig werden. Hier wird durch operative Eingriffe wie eine Arthroskopie das Kiefergelenk repariert und Fehlstellungen korrigiert. Neurologen kommen ins Spiel, wenn Nerven im Kieferbereich betroffen sind. Sie können feststellen, ob der Trigeminusnerv oder andere Nerven entzündet sind und behandeln diese mit Medikamenten oder Injektionen, um die Schmerzen zu lindern.

 

Durch die enge Zusammenarbeit dieser Fachrichtungen wird sichergestellt, dass alle Aspekte der TMD behandelt werden – von den funktionellen Ursachen über strukturelle Probleme bis hin zu neurologischen Beschwerden. Nur so kann eine langfristige Linderung der Symptome und eine Verbesserung der Lebensqualität erzielt werden.

 

 

Quellen:

 

https://www.unizahnklinik-wien.at/fachbereiche-spezialambulanzen/spezialambulanz-funktionsstoerungen-cmd-funktionsdiagnostik-/-kiefergelenktherapie/

 

https://www.msdmanuals.com/de/heim/news/editorial/2024/06/11/13/46/common-questions-about-temporomandibular-disorders

 

https://www.dr-boisseree.de/wp-content/uploads/2019/03/stomatologie2013-Vol110_Artikel_TMD_09-14.pdf

 

https://deximed.de/home/klinische-themen/hals-nase-ohren/krankheiten/verschiedene-krankheiten/temporomandibulaere-dysfunktion#diagnostik-diagnostische-kriterien

 

https://www.msdmanuals.com/de/profi/zahn-mund-kieferkrankheiten/temporomandibul%C3%A4re-dysfunktionen/%C3%BCberblick-%C3%BCber-temporomandibul%C3%A4re-dysfunktionen

 

https://www.colgate.at/oral-health/articles/what-is-temporomandibular-joint-disorder-tmj


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Über den Autor: Dr. med. Benjamin Gehl

Facharzt für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie


Als Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie liegt die Leidenschaft von Dr. Gehl schon immer im Bereich der medizinischen Contentproduktion.

Aufgrund seiner Ausbildung, einer langjährigen Einsatzzeit in der rekonstruktiven und plastischen Chirurgie, sowie zahlreichen Auslandseinsätzen in Indien, Afrika und Amerika weiß er, welche Techniken und Behandlungen für medizinische Indikationen international Anwendung finden und State of the art sind.

Weiterhin beschäftigt er sich täglich mit neuen Trends und Techniken in der operativen und nicht-operativen Chirurgie. Fortbildungen sowie Studien zählen genauso zu seiner Leidenschaft wie die Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten zu den neuesten fachspezifischen Themen.

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